DSC 0455Erkenntnis und Wissen sind völlig wertlos, wenn wir nicht danach leben. Können wir unsere Anschauungen und Bekenntnisse nicht in Praxis umsetzen, so erhalten sie keine Wahrheit.

Wir müssen unsere Philosophie, Religion, Bekenntnisse, Überzeugungen und Behauptungen leben können. Was nützen all die Lehren und Dogmen, die wir für das „Heil der Menschheit" aufstellen, wenn wir sie nicht leben können? Alle Theorien, die sich im praktischen Leben nicht verwirklichen lassen, sind nicht wahr, mögen sie in noch so schöne Worte und poetische Redeweise eingekleidet sein und noch so logisch erscheinen. Das Leben ist zu kurz — sogar wenn wir tausend Jahre leben sollten —, um die Zeit mit Theoretisieren zu vergeuden.

Bei Mazdaznan beginnen wir mit dem Körper, weil er das letzte und vollkommenste Erzeugnis der Entwicklung und das einzige ist, dessen wir uns bewusst sind, denn man kann nicht leugnen, dass wir existieren. Vor allem beschäftigen wir uns mit unserem eigenen individuellen Selbst. Wir fragen: Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich? Warum kam ich gerade jetzt auf diesen Planeten und nicht früher oder später? Alle ernsthaft suchenden Menschen haben sich diese Frage schon gestellt Es muss eine Antwort darauf geben, denn jede Frage birgt in sich die Antwort. Aber wer kann antworten? Wer kann uns die Lösung unserer eigenen individuellen Fragen, unseres individuellen Lebens geben?

Die Kirche, die Wissenschaft, die Soziologie, die Philosophie alle haben über diese Fragen theoretisiert, aber die wenigsten sind doch dadurch einer sie befriedigenden Antwort näher gekommen?

Mazdaznan lehrt einfach, alles Theoretisieren fallen zu lassen und die eigenen Füße auf soliden Boden zu stellen. Diesen Körper und die Gegenwart zu kennen, ist wichtiger als alles Theoretisieren. Der menschliche Körper birgt in sich alles, was wir zur Lösung des Lebensrätsels bedürfen. Vergangenheit und Zukunft haben keinen Wert für die Gegenwart. Durch Befriedigung der gegenwärtigen täglichen Bedürfnisse baut man das Fundament, auf dem die Zukunft ruht. Durch die gründliche Kenntnis der Gegenwart erkennt man die Vergangenheit. Vergangenheit und Zukunft sind in der Gegenwart konzentriert. Diese enthält alles Leben und alle Kräfte aller Zeiten. Dieser menschliche Körper ist das Instrument der Vernunft. Er hält alle Vernunft und Intelligenz zur Lösung aller Fragen in sich geborgen. In diesem Körper liegt alle Einsicht und alle Erkenntnis, um alle Fragen, die in einem ganzen Lebenslauf an den Menschen herantreten, lösen zu können. Wie alle Musik, in einem Klavier enthalten ist und nur des Meisters harrt, um hervorgelockt zu werden, so enthält der Körper alle Intelligenz des ganzen Universums und wartet auf die Meisterhand, um sich ihrer zu bedienen.

Der menschliche Körper ist das Resultat unzähliger Schöpfungen und Entwicklungsstufen. Er ist die Krone und Zusammenfassung aller geschaffenen Fähigkeiten und Kräfte der ganzen Schöpfung und Entwicklung. Er enthält in konzentrierter Form alle Intelligenzen des Tierreichs, des Mineralreichs und alle Kräfte des Elementarreichs. Wollen wir nun zu vollem Bewusstsein aller dieser Intelligenzen und Kräfte kommen und sie verwerten, so haben wir nichts anderes zu tun, als auf eigenen Füßen zu stehen. Gerade wie Talente geboren werden, so müssen Vernunft, Urteil, Göttlichkeit geboren sein. Alles, wonach wir uns sehnen, liegt als Intelligenz in unserem kleinen Körper verborgen. Das ganze Bestreben der Entwicklung und der Erziehung des Menschen muss demnach sein, das zum Ausdruck zu bringen, was in uns ist.

Der Mensch ist die letzte und höchste Schöpfung Gottes, das Ebenbild Gottes. Wenn Gott weiß, so weiß auch der Mensch. Gott hat Macht, so auch der Mensch. Aber der Mensch muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, recht zu leben und nicht nur zu wissen.

Wie man eines Instrumentes bedarf, um die Errungenschaften der Musik zum Ausdruck zu bringen, so bedürfen Geist, Seele und Vernunft eines Körpers, um die Harmonie des Unendlichen offenbaren zu können. Ein solcher Körper, ein solches Instrument muss vollkommen sein. Er ist auch vollkommen, wie auch ein neues Instrument an sich vollkommen ist. Wollen wir aber dieses Instrument benützen, so muss es gestimmt werden, um dem Unendlichen, das ihn besitzt, Gelegenheit zu geben, sich auszudrücken.

Mazdaznan betrachtet den Körper nicht als unvollkommen. Unvollkommenheiten sind die Folgen falscher Begriffe. Gebraucht man aber Vernunft und gesunden Menschenverstand in allen Fragen, so kann man keine Fehler begehen. Wir lehren, dass der Körper vollkommen ist. Aber um über seine innewohnende Vollkommenheit verfügen zu können, muss man ihn ebenso stimmen und pflegen wie ein Instrument. Um Nutzen und Genuss daraus zu ziehen, muss man ihn in Ordnung, gesund und leistungsfähig erhalten. Das ist es, was wir vor allem lernen müssen, den Körper richtig zu pflegen. Besitzen wir ein vorzügliches Klavier, so behandeln wir es mit der größten Sorgfalt. Wir lassen nicht jedermann darauf spielen. Es würde uns das Herz brechen, wenn es missbraucht würde. Und doch gestatten wir, dass der Tempel des lebendigen Gottes, dieser Körper, von uns missbraucht und von anderen behandelt und misshandelt wird!

Können wir einmal unsere Sinne wie eine Klaviatur behandeln und beherrschen, so können wir ihnen auch die allerhöchsten Begriffe und Kenntnisse entlocken. Dieser Körper ist das Instrument des lebendigen Gottes, des Gottes, der in uns lebt. Wenn wir uns dieses Gottes als unseres Gottes nicht bewusst werden, wenn wir Gott weder sehen noch hören, so gibt es keinen Gott.

Gott ist nicht Jemand, irgendwo; Gott ist Leben, allgegenwärtig, in jedem Menschen; wenn nicht, so gibt es keinen Gott. Wie können wir aber beweisen, dass es einen Gott gibt? Man hat versucht, ihn mit objektiven Dingen zu beweisen. Aber das Unvergängliche lässt sich niemals durch das Vergängliche, Objektive beweisen. Auch kann Gott nicht durch Gott selbst bewiesen werden, ebenso wenig wie die Schrift durch die Schrift selbst. Wie will man andererseits beweisen, dass es keinen Gott gibt?

Beweise können nur durch objektive Dinge erbracht werden, Dinge, die dem Wechsel unterworfen sind, die entstehen und vergehen. Solche sind aber kein Beweis für das Subjektive, für den Geist, für Gott. Lasst uns vielmehr das tiefste Innere, unser eigenes Herz, ergründen, stille sein — dann denken und erkennen!

Haben wir schon gelernt die Gesetze der Lebensökonomie anzuwenden? Die wahre Lebensökonomie fragt nicht, wie viel, sondern wie wenig ist zum Leben nötig ist, um möglichst großen Nutzen daraus zu ziehen. Was ist das kleinste Maß zur Erreichung höchster Werte? [Mit wie wenig kann ich das maximale erreichen?]

Man lehrt, der Mensch habe fünf Sinne, einige geben sechs und sogar sieben zu. Mazdaznan lehrt, dass der Mensch zwölf Sinne hat und dass alle zwölf zur vollkommenen Ausbildung und Lösung der Lebensaufgabe unentbehrlich sind.

Man kann die Dinge nur soweit schätzen, als man ein Verständnis dafür hat. Es gibt Menschen, die nur über sieben Sinne verfügen, andere über sechs oder fünf oder auch nur drei, wieder andere haben keinen Sinn, sind sinnlos. Die zwölf Sinne sind zwar alle in latentem Zustand vorhanden, sie können aber von den wenigsten gebraucht werden. Könnten alle Menschen alle ihre Sinne gebrauchen, so würde die Welt heute viel weiter sein. Wir haben alles in uns, um vollkommen zu werden: alle Dinge sind Gott und dem Menschen möglich. So muss es einen Weg geben, um zum vollen Gebrauch der Intelligenz zu gelangen, und der ist: Stehe auf eigenen Füßen! und halte die edle Lebensregel heilig: Kümmere dich um deine eigene Sache! Dann findet sich die Lösung aller Lebensfragen von selbst.

Wir müssen zur Einsicht kommen, dass der Körper alles ist, was wir besitzen, und dass wir kein Besitzrecht auf etwas anderes haben. Der Körper ist unser einziges Erbe und Geburtsrecht, und damit besitzen wir alles, was zu erben ist. Nur in unserem Körper ist die Lösung des LebensrätseIs zu finden durch das Hervorlocken aller innewohnenden Talente, die Entwicklung aller verborgenen Kräfte und die Vervollkommnung aller Sinne durch Atem- und Körperpflege. Gebrauchen wir die ihm innewohnende Intelligenz, so brauchen wir nicht zu leiden und Erniedrigungen durchzumachen. Können wir heute unsere höchsten Ideale nicht zur Ausführung bringen, wie wird es in der Zukunft möglich sein? Können wir heute nicht gut sein, so werden wir es nie können. Können wir heute die Zustände nicht bessern, so wird es nie möglich werden.

Wir pflegen zu versprechen, gut zu sein, wenn wir im Himmel, in Nirwana, sind. Kann man sich aber einen Himmel denken, wo man die lieben wird, die man hier gehasst hat? Das hat keinen Sinn. Man versteht nicht, was es heißt, einander zu lieben. Man braucht bloße Worte, ohne ihren Sinn zu begreifen. Lasst uns langsam sein im Urteil. Nur in einem Punkt sollen wir rasch sein, im Hören.