1.
Bevor wir anfangen zu singen, müssen wir uns bewusst entspannen. Jeder Mensch hat intuitiv das Bedürfnis, sich immer wieder zu entspannen. Deshalb gehen wir in das Theater, in das Kino, in den Zirkus, weil uns alle Belustigungen dazu dienen, uns zu entspannen. Aber das genügt nicht. Vielmehr sollte jeder von uns tagtäglich für einige Minuten durch Entspannungsübungen gehen, um wenigstens von Zeit zu Zeit den Zustand der Entspanntheit bewusst zu erleben, weil er sich dann auch auf die geistige Seite unseres Wesens überträgt.
2.
Ob wir singen oder sprechen, immer müssen wir den Hals besonders frei halten. Das erreichen wir leicht, wenn wir den Kopf ein wenig von der einen zur anderen Seite bewegen, ohne dass es aufzufallen braucht. Mit den Füßen sollten wir es ebenso machen und sie bald ein wenig vor-, bald ein wenig zurückstellen, damit sich auch die äußersten Zellen bewusst bleiben, dass wir auf den Körper aufmerksam sind...
3.
Der Adamsapfel muss tief genug gezogen werden können, damit die Stimmbänder je nach dem Willen gesetzt werden können und die Stimme leicht jedem Verlangen nachzugeben vermag. Das erfordert meist jahrelanges Üben selbst für die Bestveranlagten ...
4.
Beim Singen müssen wir die Kontrolle über die Muskeln des Mundes haben. Dann fällt uns das richtige Singen und auch die richtige Aussprache viel leichter, und wenn uns der Gesang etwas nutzen soll, müssen die Worte deutlich ausgesprochen und betont werden. Aber sogar die meisten Sänger kümmern sich nicht darum, ob die Zuhörer hören und verstehen, was sie singen, sondern wollen nur ihre Methode zum Besten geben. Zunächst üben wir uns, ganz langsam, aber stets mit deutlicher Aussprache zu singen, und werden erst allmählich schneller, bis wir dann irgendein gesetztes Zeitmaß meistern. Deshalb müssen wir lernen, uns selbst zu hören, damit wir begreifen, ob wir richtig und deutlich singen ...
5.
Von Zeit zu Zeit sollten wir auch durch die Nase singen oder beim Singen die Nase rümpfen. Dadurch werden die Atemzüge gleichmäßig und zugleich erweitert sich unsere geschäftliche oder kommerzielle Anlage, weil der Nasenrücken etwas in die Höhe gezogen wird und wir dann besser auf alles achten, was geschäftlich notwendig ist. Entwicklung in kommerzieller und praktischer Hinsicht tut uns allen gut, damit wir ökonomischer werden ...
6.
Sind die Lippen zu breit geworden, dann müssen wir sie einziehen und uns deshalb öfter im Pfeifen üben, bis sie sich mehr einwärts gewöhnt haben. Sind die Lippen und der Mund zu schmal, dann üben wir uns, mehr sanft und weich zu singen, und formen mit weit geöffnetem Munde immer wieder das O und das A, indem wir beständig von dem einen zum anderen übergehen ...
7.
Wollen wir uns erwärmen mittels der Stimme, dann summen wir 3 bis 5 Minuten, während wir die Zunge an die untere Zahnreihe stellen. Wollen wir uns abkühlen mittels der Stimme, dann summen wir a staccato, schlagen dabei aber doch eine Brücke von der einen zur anderen Note, damit die Atemzüge immer in Schwung bleiben ...
8.
Um eine klare Stimme zu bekommen und zu behalten, singen wir irgendeine wohlklingende und uns zusagende Melodie zuerst auf einen und dann auf einen anderen Vokal. Dabei finden wir heraus, dass die Vokale o, a und e besonders wirksam sind. Als solche Melodien eignen sich zum Beispiel: "Näher, mein Gott, zu dir" und "Engel des Lichts". Singt man diese Melodien dreimal hintereinander auf die Vokale o, a und u, so belebt sich das Nervensystem ...
9.
Wenn wir ausdrucksvoll singen wollen, muss die begleitende Musik a staccato spielen. Zieht die Begleitung die Töne, dann zieht sie den Sänger nach und dann wird der Gesang schleppend. Spielt aber die Begleitung a staccato, dann hat der Sänger Gelegenheit, seiner Stimme Ausdruck und Ausdehnung zu geben. Lernen wir, die Luft mittels des Zwerchfelles gegen die Lungen- und Herzfelle zu werfen, dann kommt die Stimme voll heraus.
10.
Nach und nach kommen wir darauf, dass wir das Kinn etwas heben oder senken müssen, je nach der Tonlage. Für höhere Töne müssen die Stimmbänder etwas nachgezogen werden, indem wir das Kinn etwas heben. Für tiefere Töne müssen sie ganz locker gemacht werden, indem wir das Kinn etwas anziehen. Dadurch wird die Stimme klarer und die Tonschwingungen erreichen und durchdringen ein Drüsensystem nach dem anderen, sodass sich die Elementar- und Ätherstoffe der Drüsen im Körper verteilen und den Schwingungszustand im Zellgewebe erhöhen. Je höher aber die Schwingung einer Zelle ist, umso mehr offenbart sich ihre Intelligenz und erschließt sich neue Möglichkeiten.
11.
Damit wir uns der Stimme sicher seien und besonders wenn wir katarrhalisch angelegt sind, sollten wir eine Prise Borax in die Nase hochschnupfen und das Wasser, das sich dadurch nach einigen Minuten im Munde sammelt, entfernen. Was durch die Nase hochgezogen wird, muss immer entfernt werden. Dann legen wir eine gute Prise Borax auf die Zunge, halten es dort, bis der Speichel es aufgelöst hat, und verschlucken es mit dem Speichel. Befolgen wir das vor der Gesangsstunde oder vor einer Versammlung, in der wir singen sollen, dann ist unsere Stimme klar und es kommt kein Falsetto hinein.
12.
Sitzen wir beim Singen, so müssen wir darauf achten, dass der Brustkorb vermittels der Brustmuskeln hochsteigt, die Muskeln des Unterleibs sich einwärts senken und das Rückgrat wie ein Pfeil in die Höhe schließt. Anlehnen dürfen wir uns nicht, wenn wir die inneren Vibrierungen kontrollieren und verfeinern wollen. Eher ist der Körper ein wenig nach vorn geneigt. Wenn dabei anfangs auch das Kreuz etwas schmerzt, so verlohnt es sich doch, den Schmerz zu ertragen. Denn allmählich ziehen sich die Muskeln des Rückgrats fester und die Stellung wird uns selbstverständlich.
13.
Beim Ausatmen darf die Brustwand nicht immer wieder ein- oder zurückfallen, sondern bleibt gehoben, damit die inneren Schwingungen vom Scheitel bis zur Sohle reichen, wir sie also im ganzen Körper wahrnehmen und sie die Drüsensysteme erreichen. Das Blut lässt sich sehr leicht beeinflussen und leiten, mit der Zeit auch die Nerven; aber die Drüsen bedürfen der inneren Aufrüttelung. Das Gleiche hat man auch schon im Kirchenwesen versucht, indem man die Gläubigen durch eine innere Erschütterung oder ein inneres Erschauern gehen ließ, und diese Augenblicke der inneren Erschütterung offenbaren dann dem Gläubigen wohl auch etwas Unbeschreibliches. Sobald sich aber die Wirkung verzogen hat, fällt der Gläubige wieder in den alten Zustand zurück und verschlimmert ihn sogar oft. Wir dürfen uns aber nicht mit Augenblickserfolgen zufrieden geben, sondern müssen immer weitergehen in der Entwicklung.
14.
Haben wir die Brustwand festgesetzt, dann werfen wir die Einatmungswellen nach dem Sonnengeflecht, damit wir uns völliger Entspannung bewusst werden. Die Wellen müssen also von unten nach oben zum Sonnengeflecht verlaufen und hier einen Druck oder Eindruck hervorrufen. Deshalb dürfen wir auch beim Ausatmen den Leib nicht konvex auswerfen, ihn nicht reflektieren lassen, damit sich das Reflektive austausche, was in der Erscheinungswelt notwendig ist.
15.
Dann holen wir ganz gelassen unsere Stimme aus dem Inneren hervor und singen. Wir geben uns einfach der Ausatmung hin, atmen langsam und gemächlich aus, ohne zu stoßen oder Gewalt zu üben, und lassen uns ganz allmählich gehen, sind uns aber unser selbst bewusst. Denn die Stimme muss sich innerhalb der Brust erst entwickeln, damit das Belebende oder der Geist in ihr erwacht. Dann erst bekommt die Stimme die Freiheit der Übermittlung, weil nun alles auf Ätherwellen läuft.
16.
Je mehr uns die aus dem Innersten hervorgeholte Stimme belebt, lebhaft macht, emporhebt, bis eine jede Zelle sich erhebt, umso stärker ist das innerliche Erzittern oder Erschauern. Erzittern wir vor Freudigkeit, dann sehen wir nur noch Freudigkeit in uns und um uns, sehen also umso weniger das Freudlose. Das wird uns allmählich, wenn wir beim Singen auf die Bedeutung jedes Wortes achten, also bei jedem Worte daran denken, was wir damit sagen wollen.
17.
Unser Gesang darf nicht mechanisch sein oder sich auf den Kopf begrenzen, darf nicht zum Kopfgesang werden. Wir dürfen also nicht nur dem Laut oder den Noten nach singen, sondern müssen unserer Stimme unseren Gedanken verleihen, damit ihre Schwingungen bis in die tiefsten Tiefen unseres Herzens dringen, um da die Gegenschwingungen der Unendlichkeit zu empfangen. Durch die Vereinigung beider Schwingungen werden uns Offenbarungen, und zwar in zunehmendem Maße, je mehr sich das Herz, dessen Nervenverbindungen zum Gehirn und das Gehirn selbst verfeinern. Unsere Individualität und die sie umkleidende Materie oder Körperlichkeit vereinigen sich dann harmonisch, und wir erkennen das große Ganze, das uns umgibt.
18.
Die nur mechanisch durchgeführten Gesänge, Gebete und Übungen regen nur vorübergehend an, fruchten aber auf die Dauer nichts. Da sich das Religionswesen der zivilisierten Völker in ein mechanisches Zeremonialwesen verlaufen hat, ist die zivilisierte Menschheit als Ganzes immer noch sehr weit zurück in der Entwicklung und es sind immer nur sehr wenige, die wirklich freiheitlich denken. Schon der Heiland stand solchen Verhältnissen gegenüber und wirkte deshalb bewusst auf seine Jünger ein, alles gedankenvoll zu tun, indem er ihnen sagte: "Was immer ihr tut, tut es zur Ehre Gottes!" Tut es so, dass es ehrenhaft auf Gott reflektiert und der ewigwirkende Gedanke bei euerm Tun zugegen ist!
19.
Um eine größere Wirkung durch Schwingungen der Stimme zu erzielen, müssen wir die Stimme steigen und fallen lassen und öfter vom pianissimo zum crescendo übergehen und hier und da anhalten, also scheinbar eine Pause machen, um dem Gedanken Raum zu geben. In Wirklichkeit machen wir aber keine Pause. Niemand merkt sie; aber wir fühlen sie. Es ist nur ein Zögern über gleichzeitigem Weitergehen, nur der Bruchteil eines Momentums. Wir müssen es versuchen, anzuhalten und doch nicht zu verweilen. Selbst in den sich ununterbrochen überstürzenden Wellen des Meeres finden wir denselben winzig kleinen Bruchteil eines Momentums, der einer Pause gleicht und doch keine ist. Selbst zwischen dem Donner der Brandung und dem Aufzischen des Gischtes findet sich dieser unendlich kleine Bruchteil eines Momentums des aufwärts und abwärts laufenden Wassers. So soll unsere Stimme aufwärts und abwärts, vorwärts und rückwärts schwingen und dazu müssen wir uns dieses Momentums bewusst sein. Das ist von unschätzbarem Werte. Es lässt sich unmöglich vollkommen erklären, weil sich die Sprache wohl dem Ohr übermittelt, die Übermittlungen zwischen Ohr und Gesinn aber von der Sprache unabhängig sind. Das Bewusstsein des Momentums muss von innen kommen und sich von innen offenbaren und die Inspiration muss uns diese Offenbarung in das Gesinn übermitteln.
20.
Je nachdrücklicher unsere Stimme und je höher ihre Schwingungszahl ist, umso stärker wirkt sie auf das Gedrüs und umso mehr erweckt sie uns. Das Blut erwärmt sich durch den Gesang, die weißen und die roten Blutkörperchen ergänzen sich und das Generv hilft den Nervenzentren nach und dadurch können sich die Drüsen erweitern. Infolgedessen entwickeln sich die Ätherstoffe in den Drüsen, ziehen sich nach dem Gehirn und inspirieren das Gesinn. Je höher diese Inspiration, umso größer ist das Glücksgefühl im Herzen und nach und nach werden wir uns des Seelenzustandes und der Vergeistigung unseres Wesen bewusst.
21.
Es ist von unschätzbarem Werte, dass wir uns daran gewöhnen, auf die eigene Stimme zu hören. Wir sind dann genötigt, uns auf den Ton, die Tonfolge, die Worte und ihren Sinn zu konzentrieren, und der volle Inhalt der Worte prägt sich nicht nur dem Gedächtnis, sondern auch den Intelligenzen aller Zellen ein, die den feineren Schwingungen zugänglich sind, die von den Stimmbändern ausgehen.
22.
Das bringt uns von selbst dazu, auch gegenüber den Worten anderer achtsam und rücksichtsvoll zu sein, und obwohl wir innerhalb der Gesetze unseres eigenen Wesens bleiben, schaffen wir um uns eine Atmosphäre, in der sich die Schwingungen unserer Stimme mit den Schwingungen der Stimmen in unserer Umgebung mischen, sodass unsere Stimme von diesen anderen Stimmen bis in die Unendlichkeit hinausgetragen wird und von dort wiederkehrt, und alle korrespondierenden Gedankenschwingungen bereichert. Wir sollen deshalb in unserem eigenen Gehörkreis verbleiben und dürfen nicht auf die Stimmen der anderen achten, die etwas gleichzeitig mit uns singen, aber nur Begleitung für uns sind. Wenn wir uns allein üben, ist das gut und notwendig.
23.
Aber von Zeit zu Zeit sollten wir miteinander zusammenkommen und üben, um uns den Beweis zu liefern, dass wir trotz der um uns hörbaren Stimmen immer noch auf unsere eigene Stimme zu achten verstehen, also sozusagen nicht aus der Rolle fallen. Die anderen Stimmen mögen auch in unseren Bereich gelangen und wir können uns ihrer auch bewusst werden; aber ausschlaggebend bleibt, dass unsere eigene Stimme unser Ohr erreicht. Das gleicht dann einem Ringe, dessen Anfang und Ende verschmelzen. Wir verschmelzen gleichsam in uns selbst. Führen wir bei unserem Gesange unsere eigenen Schwingungen nicht auf uns zurück, so gehen sie verloren; wir geben dann immerzu ab und das, was wir an fremden Schwingungen durch unser Gehör an uns heranziehen, gehört ja nicht uns, sondern anderen.
24.
Nachdem wir uns daran gewöhnt haben, auf unsere eigene Stimme zu hören, fühlen wir eine Melodie, die wir singen, ja, nur summen oder denken, die also nur durch unser Gehirn vibriert, sich über die Stimmbänder die Schleimhäute entlang ziehen und dem Herzen zustreben, sodass wir neue Zusammenhänge erkennen und immer mehr selbstbewusst werden. Die Schwingungen ziehen durch das Herz hindurch und regulieren allmählich die Herzschläge, sodass sich der Rhythmus des Gesanges und die Schläge des Herzens vermählen, der Atem, die Stimme und die Herztätigkeit unter unsere bewusste Kontrolle kommen und schließlich völlige Harmonie in diesem Körper, dem Tempel Gottes, herrscht.
25.
Eine Begleitung zum Gesang ist gut, um hier und da eine Lücke auszufüllen. So dient uns ja die ganze Natur dazu, uns bewusst zu machen, dass wir durch ihre Begleitung immer wieder überbrückt werden. Um wie viel schöner wirkt eine Stimme, wenn der Sänger richtig begleitet ist! Muss er ohne Begleitung singen, dann fehlt es dem Ton am Tragenden, Durchdringenden; begleitet aber ein Klavier seinen Gesang, dann gibt es neue und andere Schattierungen, die der Stimme hinzugesetzt werden und sie voller machen. Kommt gar noch eine Violine hinzu, dann wirkt die Stimme erhebend und inspirierend.
26.
Wir sollten abwechslungsreiche Melodien bevorzugen, weil jede Melodie eine andere Wirkung auf unser Körperwesen ausübt und verschiedene Teile des Körpers berührt. Wenn wir Lieder in verschiedenen Sprachen, aber nach derselben Melodie singen, wirkt zwar die Melodie in der gleichen Weise, soweit der Einfluss ihrer Schwingungen reicht. Aber die verschiedenen Sprachen senden ihre besonderen Schwingungen nach verschiedenen Teilen des Gehirnes, wirken demnach verschieden auf das Gesinn und lösen andere Vorstellungen und Begriffe aus. Je aufmerksamer und konzentrierter wir in dieser Beziehung sind, umso mehr Verbindungen knüpfen sich vermittels des sympathischen Nervensystems und umso mehr Vibrations-Schattierungen stellen sich ein, die uns schließlich auch in den entsprechenden Gegenden des Körpers bewusst werden.
27.
Die echten Mazdaznan-Lieder verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit. Denn sie haben universellen Charakter und sind nach den Gesetzen der Atem- und Harmoniekunde aufgebaut zu dem Zwecke, das Zwerchfell zu entwickeln und uns dadurch zu beleben. Das Zwerchfell muss in Schwingungen versetzt werden, damit die Stimmbänder so gesetzt und geleitet werden, dass der Gesang bis in das Zellengewebe hineinwirkt und sich bis in die letzte Zelle verteilt.
28.
In allen Mazdaznan-Liedern steckt etwas Besonderes, das uns auf Ätherwellen trägt, weil sie auf den Atem und das Herz Rücksicht nehmen. Sie sind erhebend und schön und helfen uns, einen bestimmten Erfolg zu erzielen. Wenn sie in der Gemeinschaft von einer guten Solostimme oder einem geübten Chor vorgesungen oder geführt werden, können wir als eine Gemeinschaft oder große Familie leichter mitsingen und uns ihre Wirkung besser vergegenwärtigen. Umso lieber werden wir sie dann auch für uns daheim singen.
29.
Hat ein Lied mehrere Verse, so singen wir jeden folgenden Vers auf eine andere Art, z. B. erst kräftig, dann mittelstark, dann leise. Dadurch bekommen die Worte eine besondere Bedeutung und ihr Geist tritt mehr und mehr hervor. Eintöniger Gesang wirkt geistlos, selbst wenn schöne Stimmen vorhanden sind; er inspiriert nicht, sondern stumpft ab. Daher hat auch der monotone Kirchengesang die Kirchen eingeschläfert. Die Zeit des monotonen Kirchengesanges ist aber vorbei; er passt nicht mehr in die Zeit des Fortschrittes und des Erfindergeistes. Wir leben in einer neuen Zeit, in der wir wachsen und an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen zunehmen, also nicht mehr stillstehen, sondern uns entwickeln sollen.
30.
Wenn wir einen Vers zu Ende gesungen haben, dann sollte die Musik allein die letzte Zeile wiederholen, damit jeder vollends ausatmen und sich für den nächsten Vers bereit machen kann. Gehört ein Chor zu dem Lied, dann wird die letzte Zeile des Chores wiederholt.
31.
Hat ein Lied mehr als drei Verse, dann spielt die Musik nach dem dritten Verse die ganze Melodie allein, während wir uns die drei ersten Verse überschlagen. Dann erst singen wir den vierten und fünften Vers. Hat das Lied sechs Verse, dann spielt die Musik nach dem fünften Verse die ganze Melodie allein und dann erst singen wir den sechsten Vers. Gehört ein Chor zu dem Lied, dann singen wir den Chor am Ende zweimal und schließlich wiederholt ihn die Musik noch einmal für sich allein. Wir brauchen einfach Zeit, um uns den Sinn des ganzen Liedes zusammenzufassen, darüber nachzudenken und uns gerade dessen bewusst zu werden, was unserem Temperamente besonders eigen ist. Dann halten wir uns bei allen unseren Gesängen unsere eigene Predigt.
32.
Wir brauchen keinen Kunstgesang zu üben, wenn wir kein besonders Talent dafür haben. Aber ein so einfacher Gesang wie "Spenta Ainyahita" ist für jedermann geeignet und von allergrößtem Nutzen. Diese Melodie führt uns in der Erinnerung um Tausende von Jahren zurück zu Ainyahita, die als die Mutter der indoeuropäischen Völker gilt, weil sie uns die Weisheit und die Liebe Gottes und die Wissenschaft des Lebens offenbart und vorgelebt hat. Bis auf den heutigen Tag hat sich diese Melodie erhalten, die immer noch bis in die tiefsten Tiefen unseres Herzens dringt und uns stets ergreift, gleichviel ob wir materiell oder spirituell oder intellektuell veranlagt sind. Jeder fühlt etwas Feierliches, sogar Geheimnisvolles in dieser Weise. Durch solche Gesänge entwickelt sich bei einem jeden etwas, was er auf andere Weise nicht erzielen kann.
33.
Gewisse Mazdaznan-Melodien eignen sich besonders gut für rhythmische Bewegungen, z. B. die Melodie "Treffen wir uns an dem Strome" für Arm- und Beinbewegungen. Man lässt dabei den Körper in die Knie hinunter und setzt dabei die Fäuste auf den Boden. Sie ist außerdem eine feine Aushauchungs-Melodie. Singt man die ganze Melodie auf einen Aushauch aus, ohne sich dabei zu spannen, dann wird die Kalkulationsgabe angeregt und sie entwickelt sich mehr und mehr.
34.
Allmählich lernen wir von selbst, die Mazdaznan-Lieder sanfter zu singen. Mit sanften harmonischen Tonschwingungen erlangen wir die Kontrolle über die Herztätigkeit und werden sogar mit der Zeit fähig, das Herz im Einklang mit dem Rhythmus des Gesanges oder der Musik schlagen zu lassen. Für sanfte harmonische Tonschwingungen muss die Brust gehoben bleiben und die Rippen müssen sich seitwärts spreizen, indem wir den Leib etwas über dem Nabel und ein klein wenig unter der Nabelgegend langsam einziehen. Dadurch zieht sich die Brust höher und dann erst spreizen sich die Rippen. Wenn wir so singen, kommt ein Gefühl der Gelassenheit und Sanftmut in uns auf. Wir sind uns nur noch des Klopfens des Herzens bewusst und der klare, inspirierende Gedanke offenbart sich.
35.
Unsere Vorfahren hatten die richtige Auffassung vom Singen und den Mut zu singen, weil sie sich der inspirierenden Macht des Gesanges bewusst waren. Ihre heiligen Gesänge ebneten den Weg für uns, sodass wir es ihren Anstrengungen verdanken, dass wir heute ein Dasein der Herrlichkeit und Freude führen. Wir sollten uns also ihrer Melodien und ihrer Art und Weise zu singen erinnern, um uns weiterzuentwickeln. Wie weit wir uns auch schon entwickelt haben mögen, so verdient das doch nur Anerkennung für den gegenwärtigen Augenblick. Morgen müssen wir schon wieder neue Anstrengungen machen, weil es unsere Pflicht ist, mit dem Zeitgeist beständig vorwärtszuschreiten.
36.
Wir brauchen nun nicht alle berufsmäßige Sänger zu werden, um aus diesen wenigen Winken den allergrößten Vorteil zu ziehen. Aber singen sollten wir in jedem Falle, und zwar alle zwei Stunden für 3 bis 5 Minuten. Zunächst wählen wir uns irgendeine Melodie, die uns zusagt, und mit der Zeit werden wir von selbst wählerischer. Können wir der Umstände halber das Singen nicht durchführen, dann können wir wenigstens eine Melodie summen, zum mindesten aber uns eine Melodie in Gedanken wiederholen. Schon nach wenigen solchen Singversuchen merken wir es, dass wir dadurch unser Denkenswesen und unser Gesinn schüren und von innen anregen, sodass wir leichter mit unserer Umgebung in Harmonie kommen und uns umso mehr erhoben fühlen.
Von Dr. O. Z. A. Hanish.
Auszüge aus "Das neue deutsche Manthra".
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