Gute und schlechte Gewohnheiten

Die guten Gewohnheiten des täglichen Lebens müssen wir pflegen; sie bedürfen der Pflege, während schlechte Gewohnheiten von selbst wachsen wie das Unkraut auf einem Feld, das sich selbst überlassen bleibt. In dem Augenblick, da wir aufhören, die guten Gewohnheiten zu pflegen, setzen wir uns schlechten Einflüssen aus. Das Wertvolle kann nicht für sich selbst sorgen; man muss ihm sorgfältige Pflege angedeihen lassen. Das liegt in der Natur der Sache; nicht, weil das Gute leicht schlecht wird, sondern weil es leicht vom Schlechten verdrängt wird, wie man es beim Queckengras sieht, das in einen gut gepflegten Rasenplatz eindringt.

Die guten Gewohnheiten entspringen den guten Eigenschaften, die uns anvertraut worden sind zu dem Zweck, dass wir sie ausnützen. Wir müssen sie zunächst erkennen und dann bekennen, dass sie zu uns gehören, wenn auch nicht zu unserer Individualität im Herzen, so doch zu unserer körperlichen Erscheinung, der sie den Weg der Entwicklung erleichtern sollen. Wir dürfen sie also nicht vernachlässigen oder gar unterdrücken, sondern müssen sie leiten und anbringen, uns selbst zur Freude und zum Segen und unserer Umgebung als Beispiel zur Nacheiferung.

Erst wenn wir lernen, die vielfältigen Gelegenheiten, die sich uns Tag für Tag bieten, mehr zu unserer Förderung auszunutzen, erkennen wir weitere und größere Gelegenheiten in unserer Umgebung, aus denen wir Nutzen für uns und auch für andere ziehen können, und werden das, was die Menschheit braucht, nämlich Gegenwartsmenschen.

Was nutzt uns das Leben, wenn wir nicht verstehen, uns jetzt, in dieser Gegenwart, seinen vollen Wert zu eigen zu machen! Erarbeiten wir uns den Wert des gegenwärtigen Lebens, dann erschließt es uns die unendlichen Schätze der Ewigkeit von selbst, die sich in der Gegenwart greifbar verwirklichen lassen. Deshalb brauchen wir Gegenwartsmenschen, die alle Möglichkeiten des Lebens erfassen, keine Schwärmer, Phantasten, Sophisten, Dogmatisten, Theoretiker und dergleichen mehr, die alle in die Vergangenheit passten.

Jetzt ist eine andere Zeit, jetzt ist die Gegenwart, die ihre eigenen Gesetze, ihre eigenen Rechte und Pflichten, ihr eigenes Denken und ihren eigenen Zeitgeist hat. Was vorher war, müssen wir alles wissen, um unsere daraus gewordene Gegenwart zu verstehen. Aber die Gegenwart müssen wir uns selbst erziehen. Alles in der Vergangenheit Gewordene steckt auch in uns; aber wir wissen es nicht mehr, weil wir unsere Herkunft vergessen haben. Kein Wunder, dass wir dann die Gegenwart nicht verstehen, sie nicht meistern, sie nicht ausschöpfen!

Der Gegenwartsmensch braucht Religion oder Führung aus sich selbst heraus zum Fortschritt auf dieser Welt und in diesem gegenwärtigen Leben. Wer das nicht erkennt, ist kein Gegenwartsmensch, passt nicht in die neue Zeit mit dem neuen Denken und muss deshalb geführt werden von den Gesetzen der Begrenzung, des Zwanges und der uralten Autoritäten. Der Gegenwartsmensch aber hat sich auf das in ihm niedergelegte Gesetz zu besinnen und mit dessen Hilfe die in ihm niedergelegten Werte aus sich herauszuholen und sie in den Dienst des Ganzen zu stellen. Das verlangt der Zeitgeist von ihm und dann hat er auch kein Verlangen nach den Reichtümern anderer. Das ist der Sinn des gegenwärtigen Lebens: dass alles Gegenwärtige seinen vollen Wert, seinen inneren Reichtum, seine Gaben und Fähigkeiten so vollkommen wie nur möglich offenbare und dass aus diesen Offenbarungen eine neue, noch vollkommenere Gegenwart herauswachse.

Die einzige wirkliche Hilfe in irgendeiner Lage sind unsere eigenen Fähigkeiten und Talente. Deshalb darf der Gegenwartsmensch, der sich behaupten will, auch nicht mehr das Geld, sondern muss seine Arbeitskraft als Kapital ansehen, die allein Werte schafft. Er wünscht sich deshalb auch nicht mehr Reichtum, sondern nützliche, praktische und wertvolle Arbeit, bei der er seine Fähigkeiten und Gaben zum Fortschritt auf allen Gebieten des Lebens einsetzen kann.

Durch Selbstbeherrschung und Bemeisterung des Körpers werden wir uns nach und nach der inneren Führung oder der Führung aus uns selbst heraus bewusst, in der das Geheimnis unserer Kraft, unseres Erfolges und unseres Glückes liegt. Vertrauen wir uns dieser eigenen inneren Führung selbst in den kleinen Dingen des täglichen Lebens an, dann können wir nicht mehr fehlgehen. Nur wer im Kleinen treu ist, kann auch im Großen treu sein.

Je einfacher wir leben, je mehr wir alle Vorgänge des täglichen Lebens auf das Prinzipielle, Grundsätzliche zurückführen und mit Verständnis und Erkenntnis erfüllen und leiten, umso eher und umso leichter wird uns die Selbstbeherrschung zur Selbstverständlichkeit oder zu einer guten Gewohnheit. Von Tag zu Tag entdecken wir selbst mehr und mehr die Wahrheit der Dinge, anstatt von anderen Beweise zu erwarten, und erkennen zugleich, dass wir immer origineller, individueller und schöpferischer im Denken, Reden und Handeln werden und dass die Welt der Erscheinungen, wie die Natur sie vor uns stellt, nur das Spiegelbild unseres eigenen Wesens ist, in dem der ewigwirkende Gottgedanke das Urbild niedergelegt hat.

Solches Selbstbewusstsein, solche Erkenntnis und Selbsterkenntnis erreichen wir nur, wenn wir unsere ganze Aufmerksamkeit der Gegenwart und den gegenwärtigen Notwendigkeiten zuwenden. Macht der Geistestrieb in unserem Herzen einen Wunsch rege, dann müssen wir den Wunsch mit unserem Willen unterstützen, ihn mittels des Eingebungssinns dem Denkwesen zuleiten, ihn verständig und vernünftig überschlagen und mit Hilfe des Verwirklichungssinns im rechten Geiste ausführen. Es genügt also nicht, nur Schönes und Edles zu denken und sich in Gedanken ein hohes Ziel zu stecken, sondern wir müssen dem Geiste im Herzen unsere Kräfte und Fähigkeiten zur Verfügung stellen, damit die Gedanken Wirklichkeit werden oder durch schöpferisches Handeln Gestalt und Form annehmen.

Dazu bietet sich aber nicht nur hier und da oder bei außergewöhnlichen Verhältnissen Gelegenheit, sondern Tag für Tag mit jedem neuen Morgen. Deshalb müssen wir uns, sobald wir uns am Morgen erhoben haben und durch unsere Übungen gegangen sind, mit Leib und Seele auf unser Tagewerk einstellen oder konzentrieren. Dadurch sammeln sich schon alle Intelligenzen und Energien auf ihr Ziel und wir vollziehen alles Notwendige mit Lust und Liebe, leicht und genau, sodass der Erfolg sicher ist und uns der gerechte Lohn wird. Wer aber mit Unlust und zerfahren an die Arbeit geht, vergeudet seine Kräfte und hat Misserfolg.

Für den, der höher steigen will, ist konzentrierte Arbeit ein Bedürfnis und eine Freude und niemals eine Last. Er hat auch nicht das Gefühl, dass die Arbeit ihn knechtet, sondern ist dankbar für das Vorrecht, seine Kräfte, Fähigkeiten und Gaben für nützliche Zwecke einsetzen zu können, und erblickt darin ein Mittel zu seiner materiellen, spirituellen und intellektuellen Entwicklung und einen Schritt in die Richtung der Vollkommenheit. Durch konzentrierte Arbeit schaffen wir uns nicht nur unser eigenes Heil und unsere eigene Befreiung aus den Ketten der rückständigen Umgebung, sondern werden durch unser Beispiel zu Erlösern unseres Volkes und zu Mitarbeitern an der Erlösung der ganzen Menschheit.

So werden wir zu höheren und größeren Aufgaben und Taten und in Reiche geführt, die der begrenzt Denkende nicht finden und sich nicht erschließen kann, es sei denn, er erwacht auch zum Bewusstsein seiner selbst oder der Gottesintelligenz in seinem Herzen.

Nun wenden wir uns der 8. Übung, dem orientalischen Sitz, zu. Er ist die konzentrierteste Stellung des Körpers, fördert nicht nur das körperliche, sondern auch das geistige Gleichgewicht, befreit Sehnen, Nerven und Unterleibsorgane von ihrer Spannung, bringt sie in die richtige Lage, heilt also Verstellungen der Organe und lässt den ganzen Körper ausruhen. Die Entspannung des Unterleibes wirkt entspannend auf das Gehirn und macht es frei und klar. Bist du ermüdet, so wird dir das Ausruhen im orientalischen Sitz stets Erleichterung bringen.

8. Übung: Orientalischer Sitz

Kreuze den rechten Unterschenkel über den linken und lasse dich leicht und anmutig auf den Boden nieder. Der Körper fällt oder stürzt also nicht, sondern geht in sich selbst nieder. Anmutige und leichte Bewegungen sind ein Zeichen von Selbstbeherrschung, während Steifheit und Schwerfälligkeit Schwäche verraten.

Dann erhebe dich langsam und anmutig vom Boden, während die Hände an den Hüften angelegt sind, also das Erheben nicht unterstützen. Der Körper hebt sich sozusagen aus sich selbst empor. Bei gutem Willen und einiger Ausdauer gelingt es dir bald. Um anfangs leichter aufzustehen, kannst du ein Knie etwas vorwärts beugen, das Gewicht des Körpers auf beide Knie werfen, indem du ihn nach vorn neigst, und dich aus dieser knienden Stellung aufrichten. Beim Niederlassen atme aus und beim Erheben atme ein. In dieser Weise wiederhole das Niederlassen und Erheben sechs- bis zwölfmal hintereinander.

Für Kopfarbeiter ist diese Übung besser als die übliche Gymnastik mit Hanteln und dergleichen. Die Fettpolster des Unterleibes und aufgeschwemmte Formen verschwinden schon nach kurzer Übungszeit.

Kreuzatmung

Mit dem orientalischen Sitz kann man die Kreuzatmung verbinden, die der Reinigung der Nerven dient, vorausgesetzt, dass man den Körper im ganzen schon durch knappe Ernährung und Fasten bis zu einem gewissen Grade gereinigt hat. Lasse dich in den orientalischen Sitz nieder, lege den rechten Ellenbogen in die linke Hand, lasse das Kinn in der rechten Hand ruhen, halte mit dem rechten Zeigefinger das linke Nasenloch zu, richte beide Augen auf die Nasenspitze und atme eine Minute lang durch das rechte Nasenloch ein und aus. Dann wechsle die Ellenbogen und die Hände in die entgegengesetzte Stellung um und atme durch das linke Nasenloch in der gleichen Weise eine Minute lang. Die Übung soll nur 2 Minuten lang und nicht zu häufig gemacht werden, sondern nur, wenn man sich dazu getrieben fühlt.

Brustschlagen

Nachdem man das Üben des orientalischen Sitzes beendet und sich erhoben hat, kann man diese Übung regelmäßig anschließen oder kann sie nach Belieben oft vornehmen. Man steht aufrecht, atmet ein, wirft beide Arme waagerecht seitwärts, schlägt mit den Händen viermal hintereinander kräftig auf die Brust, lässt nach dem 4. Schlag die Hände unter den Achselhöhlen nach dem Rückgrat gleiten, wo sie sich berühren, lässt sie dann am Rückgrat entlang nach dem Kreuz entspannt hinunterfallen und atmet aus. Der Atem muss während des ganzen Vorgangs bis zum Hinunterfallen der Hände gehalten werden.

Von Dr. O. Z. Hanish.
Auszüge aus Mazdaznan-Atem- und Gesundheitskunde.
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