Das Weihnachts- oder Christfest bedeutet eigentlich so viel wie Niederlegung der Gebote oder Gesetze, die uns zum Fortschritt dienen. Man feiert also Weihnachten, damit immer wieder jeder daran erinnert würde, dass der Mensch vorwärts arbeiten muss, bis er alle Gesetze erfüllt hat.
Vor allem soll es uns in die Erinnerung rufen die Gleichheit aller Menschen ohne Unterschied der ethnischen Verwandtschaft, der Farben, der Stellungen, die wir einnehmen während dieses Lebens. Darum ist Jesus von Nazareth auch nicht in dieser Zeit geboren, sondern Chrystos, der Neugeborene, die Durchläuterung der Materie oder die Gotterkenntnis ist in uns geboren worden und soll immer wieder in uns reinkarniert oder eingefleischt werden. Chrystos, das Erneuernde in uns, die Geburt des Heilands- oder Chrystosgedankens, zu dem alle Menschen berechtigt sind, wird uns jetzt.
Die Griechen bezeichneten diesen Zustand mit Chrystos und hatten das aus dem Altpersischen übernommen, wo man dafür Crysos, Crösos und Cyros sagte. Cryo sagte man im Zend, Krischna im Sanskrit, eine Kommunitat der Zoroastrier sagte in ihrem Kreise Soschyant oder Soschyos, das heißt der Zustand der Gotterkenntnis, die uns werden soll.
Ehe ein Jesus von Nazareth erschien, kannte man schon die Möglichkeiten der menschlichen Vollkommenheit nicht nur dem inneren Wesen nach, sondern auch nach außen. Dazu müssen wir uns gewahr werden der in uns wohnenden Talente und Gaben und darum auch der Möglichkeiten, diese Gaben und Talente zu schüren und zum Vorschein zu bringen, auf dass uns dieses Leben eine Seligkeit werde. Das Leben hätte ja auch keinen Zweck, wenn wir nur alles immerwährend wiederholen, nicht vorwärts kommen und das in uns Enthaltene nicht zum Vorschein bringen sollten.
Wir haben nicht neue Intelligenzen zu gewinnen, sondern alle nur denkbaren Intelligenzen sind in uns enthalten, und wir haben sie nun zum Vorschein zu bringen. Denn alles, was überhaupt besteht, sei es in der Natur, im Planetenwesen oder in der Unendlichkeit und Ewigkeit, liegt in uns verborgen, und wir haben es aus der Verborgenheit, aus der scheinbaren Dunkelheit ans Licht, zu unsrer Erkenntnis zu bringen.
Erkennen wir das Licht in der Dunkelheit nicht, dann kann es sich nicht auf uns lenken; wir müssen es erst erkennen, müssen es schauen. Der Glauben allein genügt also nicht, wie Paulus schon ganz richtig sagte: "Aus dem Glauben müssen wir nun zum Schauen gelangen." Auf den untersten Entwicklungsstufen sehen wir nur das Scheinbare, nur das um uns Bestehende, aber nicht uns selbst. Erst wenn wir zunehmen an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen, uns bekannt machen mit dem in uns Befindlichen, tritt das Scheinbare, Phänomenale, Begrenzende, Sündhafte zurück, und weil wir ablassen von dem Niedrigen und uns einem höheren Gedanken nähern, lassen wir zu das Ewigwirkende in uns oder das göttliche Prinzip.
Dann ist uns Christus geboren, dann ist er wiedergeboren in unserm Wesen, und zwar muss er in unserem Herzen geboren werden, nicht im Kopfe, nicht im Gesinn. Denn das Gesinn kontrolliert nur den Bereich der Kenntnisse. Erkenntnis aber kann uns nur kommen durch Erleuchtung, durch Illumination, durch den Zustand des göttlichen Funkens in unserm Herzen, der uns die Gegenwart des ewigwirkenden Gedankens Gottes bewusst macht. Dann können wir auch sagen:
Uns ist ein Kind geboren
Uns ist ein Heiland geworden,
Ach, wie wunderbar!
Und er, selbst er:
Ein Ratgeber zur Freiheit!
Mir ist mein Kind geboren,
Mir ist mein Heiland geworden,
Ach, wie wunderbar!
Und er, selbst er:
Mein Ratgeber zur Freiheit!
Wenn jeder immer mehr auf sich selbst achten lernt, haben wir keine weiteren Verpflichtungen und Verantwortungen als uns selbst gegenüber. Jeder Mensch muss sich immer mehr bewusst werden, dass alle Verantwortung auf ihm selbst ruht. So uns werden soll eine Erlösung nach außen, muss uns werden eine Erlösung unsres eignen Wesens von allen Banden, in die wir uns haben schlagen lassen. Wir haben uns erst selbst zu entbinden, freizumachen, selbständig zu werden.
Darum wird uns zu jeder Weihnachtszeit der Gedanke der Wiedergeburt immer wieder in die Erinnerung gerufen, dass wir entbunden werden müssen aller Beengungen und Begrenzungen, um den Weg der Freiheit zu betreten und uns zu entwickeln nach den uns gewordenen Gaben und Talenten, die unzählbar und unerschöpflich sind, weil der Mensch das Endergebnis aller ihm vorhergegangenen Wirkungen ist.
Unsere Gaben und Talente sollen wir gebrauchen, um alles von der Natur Geschaffene auszunutzen; aber gegenseitig dürfen wir uns nicht ausnutzen. So wir die Natur nicht ausnutzen, werden wir ausnutzerisch gegenüber denen, die uns umgeben. So wir uns den Naturgesetzen nicht fügen und uns nicht aus den Elementen alles schaffen wollen, was uns erhält und entwickelt, dann vergessen wir das eigentliche Ziel des Lebens und verfallen in die Dunkelheit, in verdunkelnde Ideen, die uns schließlich gefangen nehmen und in die Sklaverei führen. Wir müssen aber heraus aus der ägyptischen Finsternis, aus den pharaonischen Ideen, müssen frei werden, selbst wenn wir für eine Zeit in die Wüste müssen. Besser ist es jedenfalls, in der Wüste zu sein, als Sklaven zu verbleiben. Nur in der Freiheit können wir uns freuen des Lebens und alles dessen, was in ihm enthalten ist.
Wenn wir uns nur immer wieder entspannen, entlasten wollten all der Strammheit, in die wir hineingezwungen worden sind, würden wir schon ganz von selbst in die Freiheit des Gedankens gelangen, der uns selbst die schwierigsten Rätsel lösen und uns von einer Klarheit in die andere führen würde. Wenn wir uns nur ergeben wollten, nicht den Suggestionen der Umgebung, die uns überall entgegentreten, sondern dem ewigwirkenden Gedanken, dann könnten wir in keine Sklaverei verfallen.
Denn der Gedanke Gottes ist frei und kann nicht gefesselt und nicht beeinflusst werden; denn von ihm strömt alles aus in die Umgebung seines Wesens. Warum sollten wir uns dann den Einflüssen zugänglich zeigen? Schon Paulus sagt nach dem neuen Bunde: "Lasst euch ja nicht wieder in das alte Joch zurückführen, aus dem ihr euch gerade herausgearbeitet habt!" Aber siehe, immer wieder vergisst der Mensch den Standpunkt, den er in der Ewigkeit und Unendlichkeit innehält, lässt sich verblenden von materiellen Dingen und kommt dann auf Abwege oder in die Sünde.
Was sind aber Sünden? Man sagt, es seien Übertretungen. Aber was übertritt man eigentlich? Kann man Naturgesetze übertreten? So der Mensch im Gedanken der Natur verbleibt, ist es ihm unmöglich, ein Naturgesetz zu übertreten. Das beweist schon das Tier, das nur seinem Instinkt folgt und dadurch seinen Weg durch das Leben findet. Es wählt sich die richtige Nahrung, die richtige Lagerstätte, macht sich die nötigen Bequemlichkeiten, geht sicher seinen Weg, ist keiner Krankheit ausgesetzt und überschreitet nie die Grenzen eines andern Tieres.
Der Mensch sollte also doch mindestens ebenso richtig wählen und entscheiden können, ja, eigentlich viel besser, weil nicht nur alle Klassen des Tierreiches von der untersten bis zur höchsten in seinem Zellengewebe enthalten sind, sondern auch alles, was sich im Pflanzen-, Mineral- und Elementarreich offenbart hat. Wir wissen es auch sehr gut aus Erfahrung, wenn wir unsre Talente gebrauchen und unsre eignen Wege wandeln, dann wurde uns alles offenbar, wonach wir verlangt hatten, und wir gelangten sogar zu einer größeren Erkenntnis der Wahrheit. So wir uns aber bedrückt und niedergedrückt fühlen, können wir keinen Gedanken der Freiheit fassen und uns auch nicht vorstellen, was eigentlich Freiheit ist.
Um in die Freiheit zu gelangen, müssen wir uns aufrütteln, aufmuntern durch Übungen aller Art, die dasselbe erreichen, was man früher mit Gebeten und Gesängen bezweckte, nämlich die Erweckung des Individuums. Daher hatte man in unsern Kreisen auch besondere Erweckungsstunden. Man sang, betete, summte sanft, wobei man versuchte, die Worte auszusprechen, sang gemeinschaftlich, und wer sich dann vereinigen wollte mit dem Geiste Gottes, der wurde aufgerufen hervorzutreten. Dann kniete er nieder am heiligen Baum oder Graalszaun, und der Leiter gab ihm mit den Händen einen gewissen Druck auf den Kopf, während alle Anwesenden den Gedanken der Erweckung unterhielten. War der Kniende wirklich innerlich aufs Höchste bewegt, dann bewirkte der Druck eine Erweckung, sodass er darnach alles ganz anders ansah.
Alles das wirkt auf die Drüsen, in denen sich die Ätherstoffe freimachen, um in das Gehirn zu gehen und hier in jedem geeigneten Momente eine Art Telefunkenzustand oder die Erleuchtung oder Erweckung des innern Lichtes zustande zu bringen. Jedoch muss eine entsprechende Bewegung oder Vibration des Herzens vorhanden sein. Sobald sich die Herzkammern öffnen, hat man schon einen gewissen Begriff für die Seelenverwandtschaft und fühlt seinen Weg; das Auge vergeistigt sich immer mehr, und man sieht daher auch die Personen mehr vergeistigt vor sich.
Um das zu veranschaulichen, geben wir bei gewissen Gelegenheiten Salz in eine Schale und etwas Weingeist darüber und zünden das an. Alle, die im Kreise herum sitzen, lesen in den Flammen die Hieroglyphen. Wenn man eine Weile in das Feuer geschaut hat und sieht dann eine der anwesenden Personen an, sieht sie gar nicht mehr wie sie selbst aus. Bei jedem Hinblicken sieht man eine andere Gestalt, andre Linien. Das beweist, dass nicht das Äußere des Menschen es ist, was den Menschen ausmacht; vielmehr gibt das den Ausschlag, was in seinem Inneren vor sich geht. So lernt man immer mehr durch den Geisteszustand die Illumination verstehen, und zugleich entwickelt man auch das äußere Auge weiter und lernt vermöge des eigenen Illuminationszustandes jeden andern in dessen Geisteszustande sehen.
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