Stress – gestern und heute: Wie meistere ich mein Leben? (Teil 2)

Hat nun auch die Ernährung einen Einfluss auf die heutige Stresssituation? Wir müssen es bejahen. Wir haben gehört, dass der Blutfett- und der Blutzuckerspiegel bei Stress über unser vegetatives Nervensystem und unsere Drüsen ansteigen. Wenn man sich gleichzeitig fettreich ernährt – es geht um Fette mit Cholesteringehalt, also Schlachtfette, Eier, viel Butter – und wenn man denaturierte Zuckerprodukte zu sich nimmt – Süßigkeiten aus weißem Zucker, Weißmehlprodukte aller Art – dann kann man schon wesentlich zu einer Beschleunigung der Arteriosklerose sowie allgemeiner Fettsucht beitragen. Die Zuckerkrankheit mit ihren vielen Nebenwirkungen – besonders auf die Gefäße – ist weltweit immer noch im Ansteigen. Es braucht nur noch Eiweiß vom toten Tier hinzugenommen zu werden, um bald in eine der vielen Übersäuerungs-Stoffwechselkrankheiten hineinzurutschen. In den erwähnten sogenannten „Lebensmitteln" finden wir kein Leben – es fehlen hier die so notwendigen Vitamine, Spurenelemente und Mineralien in lebendiger Einheit mit bekömmlicher Frischkost, die wir zur Gesunderhaltung unseres Organismus brauchen.

Die beim Übergewichtigen schon erhöhten Werte des Blutdrucks, des Cholesterins und des Blutzuckers und die bestehende Thrombosebereitschaft werden unter Stresseinwirkung bis zu einer gefährlichen Höhe noch gesteigert. Fettleibige sterben laut Statistik viermal häufiger am Schlaganfall als Schlanke. Obwohl die sogenannte Ernährungswissenschaft heute den Wertgehalt der Nahrung nicht mehr nur nach Kalorien beurteilt, sondern auch die Inhaltsstoffe an Vitaminen, Spurenelementen und Mineralien mit einbezieht, sind die Ernährungsgewohnheiten der meisten Menschen immer noch katastrophal.

Auch Essensgewohnheiten, die mit Lesen, Fernsehen oder unangenehmen Gesprächen bei Tisch verbunden sind, sollte man meiden. Wenn wir ein spannendes Spiel oder eine spannende Handlung verfolgen, erfolgt durch den Erwartungsstress eine leichte Adrenalinausschüttung, die eine Unterfunktion des Magens zur Folge hat. So werden die Speisen schlecht verdaut. Auch Depression, die oft mit bitterem Geschmack einhergeht, unterbindet die Magensaftsekretion und führt zur Appetitlosigkeit oder Übelkeit. Wut und Aggression führen zu einer Übersäuerung des Magens, was über eine Entzündung zum Geschwür führen kann.

Es ist an der Zeit, dass sich ein Bewusstseinswandel in uns zur Anerkennung der Tatsache der biologischen Einheit der lebendigen Natur vollzieht, dass Körper, Seele und Geist voneinander nicht zu trennen sind, das heißt, dass sich sowohl die Seele und der Geist auf unsere Körperlichkeit auswirken, als auch umgekehrt unsere körperliche Verfassung unseren Geist und die Seele beeinflusst.

Es gibt viele schwerwiegende seelische Stressoren wie Kummer, Sorge, Angst, Ärger, Eifersucht und andere. Betrachten wir einmal einen wichtigen seelischen Stressor – die Angst, den Schreck. Schon das Ungeborene wird diesem Stress über die Mutter ausgesetzt. Wir wissen ja alle hier, dass die Mutter in ihrem Verhalten und in ihren Emotionen und Reaktionen das Kind mit beeinflusst. Das Ungeborene macht sämtliche Konfliktsituationen mit, aber auch alle freudigen Ereignisse im Leben der Mutter.

Die Geburt in einer Klinik kann ein weiterer prägender Stressvorgang – für die Mutter und insbesondere das Kind – sein. Grelles Licht, Stress und Hektik, fremde Menschen, angespannte Schwestern oder Ärzte und das Gefühl der Mutter, alldem schutzlos ausgeliefert zu sein, können einen immensen Stressfaktor für das Kind darstellen. Auch das zu frühe Durchtrennen der Nabelschnur, noch bevor diese von allein aufhört zu pulsieren, kann das Nervensystem des Neugeborenen stören und unterbindet die Zufuhr wichtiger Stoffe für das Immunsystem. Manchmal sieht man dem verkrampften und angestrengten Gesichtchen den Stress schon an.

In ruhiger Atmosphäre zu Hause oder in einem Geburtshaus mit fürsorglichen Hebammen, bei Dämmerlicht und im langen Hautkontakt mit der Mutter bekommt das Baby die gewohnten Schwingungen übermittelt, mit denen es bisher vertraut war. Ein rücksichtsvoll behandeltes Neugeborenes schreit nicht, es gibt angenehme Laute von sich und das Gesichtchen ist entspannt.

Es gibt viele verhaltensgestörte Kinder und Erwachsene, bei denen die Ursache in der vorgeburtlichen oder geburtlichen und der frühen Kindheit zu suchen ist. Das Stillen – die innige Zuwendung der Mutter zum Kind – prägt ebenfalls das spätere soziale Verhalten des jungen Erdenbürgers in günstiger Weise. Wenn ein Kind nicht genügend Liebe und Zuwendung während der Nahrungsaufnahme empfängt, dann entwickelt es Störungen in seinem Verhalten, zumindest in seinem Verdauungssystem. Diese Säuglinge werden vielleicht später einmal an Magen- und Darmbeschwerden zu leiden haben, wenn keine entsprechende Zuwendung bei der Nahrungsverabreichung erfolgt ist. Eine Störung hierin bedeutet emotionaler Stress. Es bedeutet Liebesentzug. Man sagt heute: „Die Liebe geht durch den Magen."

Der zunehmenden Technisierung der Säuglingspflege müssen endgültige Grenzen gesetzt werden. Selbst die perfekteste Pflege in der Klinik kann der Säugling psychisch nicht verwerten, wenn die Zuwendung einer Einzelperson, eben der Mutter, fehlt. Zum Glück gibt es wieder einen starken Trend zum Stillen durch die Mutter, weil man erkannt hat, wie wichtig frühkindliche harmonische Kontakte für die spätere Entwicklung sind. Die seelische Schädigung des Kindes wiegt im späteren Leben viel mehr als zum Beispiel die Gefahr einer Ansteckung über die Mutter durch häufigeren Kontakt. Man hat festgestellt, dass ein häufiger harmonischer Kontakt mit dem vertrauten Menschen das Immunsystem steigert und damit auch in gesundheitlicher Hinsicht wertvoll ist.

Was ist das sogenannte Immunsystem? Das Immunsystem ist ein Stoffwechselbereich, der den Menschen zu einer besseren Abwehr gegen Infektionen aller Art befähigt. Die Milz, das lymphatische System, das Knochenmark sowie die weißen Blutkörperchen, die daraus hervorgehen, dienen diesem System.

Nun hat man festgestellt, dass die Thymusdrüse einen erheblichen Anteil an der Erhaltung dieses Abwehrsystems hat. Im Säuglingsalter und in der Kindheit ist diese Drüse gut entwickelt, um sich im Laufe der Jahre zurückzubilden und durch Fettgewebe ersetzt zu werden. Da heutzutage diese überaus wichtige Funktion der Thymusdrüse feststeht, wird ihr besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So hat man herausgefunden, dass mit nachlassender Abwehrkraft, die mit der Rückbildung der Thymusdrüse einhergeht, auch die Krebsbereitschaft wächst. Es besteht eine seelisch-körperliche Verbindung zur Thymusdrüse. Solange sie funktioniert, ist der Mensch freudig gestimmt und zuversichtlich. Das vegetative Nervensystem hat eine enge Verbindung dieser Drüse mit dem Herzen geschaffen. So ist es zu erklären, dass Liebesentzug und das Gefühl des Verlassenseins, des Nichtverstandenwerdens oft mit Depressionen und gleichzeitiger Immunitätssenkung einhergehen, was sich über die Thymusdrüse vollzieht. Wenn diese Drüse stimuliert – das heißt angeregt – wird, dann wirkt sie hemmend auf das Krebswachstum. Es gibt eine direkte Beziehung zwischen Krebs und seelischem Stress – wie man an der beschleunigten Entwicklung von Brustkrebs unter seelischem Stress nachgewiesen hat. So können seelische Einflüsse sogar den Verlauf dieser Krankheit beeinflussen.

Seelische Konfliktsituationen lassen sämtliche Krankheiten entstehen, die auch umweltbedingt auftreten können. Wenn heute ein Erwachsener auf einen Schreck oder eine Aufregung mit einer Gallenkolik reagiert, so ist das nach Schilderung dieser Zusammenhänge keine Einbildung. Wenn ein Kind Asthma in einer lieblosen Umgebung bekommt – man nennt es Flucht in die Krankheit, so ist es ein echtes, seelisch bedingtes Asthma. So können auch dauernde Missverständnisse mit einem unangenehmen Vorgesetzten zu Stressreaktionen führen. Ebenso die ungeliebte Arbeit, die den eigentlichen Interessen nicht entspricht. Bei Vagotonikern können in dieser Situation Magengeschwüre entstehen. Manchen von uns werden die Durchfallsymptome vor Prüfungen bekannt sein. Die Angst hat sich auf den Darm gelegt, der mit vermehrter Motorik antwortet.

Kinder sind sehr sensibel gegenüber Spannungen zwischen den Eltern, besonders wenn sie Auseinandersetzungen mitbekommen. Genauso kann die Schule zum auslösenden Stressfaktor werden, zum Beispiel wenn man sich vom Lehrer ungerecht behandelt fühlt. Häufige Bauch- oder Kopfschmerzen können die Reaktion sein.

Bei den Erwachsenen können die sexuellen Funktionen gestört werden. Bei der Frau entstehen Periodenstörungen. Es kommt zur Funktionsstörung der Schilddrüse mit leichter Überfunktion. Die Nieren können durch ihre ständige Erregung geschädigt werden, zumal wenn reichlich starker Bohnenkaffee oder Schwarztee getrunken wird. Dadurch wird die Blutreinigung unzureichend, dies mit allen Folgeerscheinungen.

Der seelische Stress hat ein weites Feld. Es fehlt an Geborgenheit, Liebe, Zuwendung, Gelassenheit und Fröhlichkeit. Ständiger Stress ohne Abbau lässt uns schließlich schneller altern. Kreislauf, Verdauungssystem und Immunsystem werden durch andauernde Stressreize geschädigt. Es entstehen Ablagerungen der nicht verarbeiteten Stoffwechselprodukte in Gelenken, Muskeln und Gefäßen. Rheuma, Arthritis und Arteriosklerose stellen sich ein. Durch das geschwächte Immunsystem wird man anfällig gegenüber Infekten aller Art. So könnte jeder, der eine ungesunde Lebensweise pflegt, seine Alterskrankheiten entsprechend seinem Konstitutionstyp vorausbestimmen. Indem wir den Stressstoffwechsel nicht mehr abbauen, sondern ablagern, wird der sinnvolle Verteidigungsmechanismus zum Instrument der Selbstzerstörung.

Vortrag von Frau Dr. med. Elisabeth Begoihn (1977), bearbeitet von Jens Trautwein.
Foto: © nelen.ru - stock.adobe.com