Ob wir den Standpunkt einnehmen, dass wir leben, um zu essen, oder den, dass wir essen, um zu leben, so müssen wir unsere Behauptung in jedem Falle in gewissem Maße bedenken und einschränken. Was gäbe das für einen Sinn, wenn wir nur leben, um zu essen? Wir würden doch nur versuchen, unsere Lüste oder Zwänge kurzfristig zu befriedigen und die Zeit bis zur nächsten Essenszufuhr totzuschlagen. Selbst dann müssten wir uns eingestehen, dass der Mensch eine durchaus „verbesserte“ Auflage des Tieres ist.
Wenn wir nur essen, um unser körperliches Zellgewebe aufrechtzuerhalten, so müssten wir auch das einschränken, da wir das nicht wahllos mit allen, sondern nur mit bestimmten Nahrungsmitteln erzielen können. Daraus müssen wir jedenfalls den Schluss ziehen, dass wir nur so viel und nur solche Nahrung zu uns nehmen dürfen, als unumgänglich notwendig ist, um dem Zweck der Ernährung gerecht zu werden.
Wenn unser Körper einem Feinmechanismus gleicht, dann handelt es sich darum, mit ihm bei möglichst geringem Aufwand die größtmögliche Leistung zu erzielen. Dazu müssen wir die vielen, auf Verschwendung hinauslaufenden Angewohnheiten, z. B. den Gaumenkitzel oder den Appetit, ablegen. Nur das unbedingt Notwendige aufzuwenden, gilt als Grundsatz der Ökonomie auf allen Gebieten des Lebens, nicht nur für das Wirtschaftsleben, sondern auch für die Lebensführung des Einzelnen.
Wir verbessern beständig unsere Herstellungsverfahren, suchen die Herstellungskosten zu verringern und betreiben Riesenunternehmen mit verhältnismäßig wenig Arbeitskräften und Hilfsmitteln. Warum machen wir es bei unserem Körperhaushalt nicht ebenso? Warum treiben wir hier Verschwendung und vermindern die Leistungsfähigkeit dieses menschlichen Feinmechanismus?
Unser Leben hat einen höheren Zweck, als ausfindig zu machen, wie viel Nahrung unser Körper vertragen kann; im Gegenteil sollten wir uns tagtäglich beweisen, mit wie wenig er auszukommen vermag. Deshalb haben schon zu allen Zeiten die geistigen Führer eine einfache und bescheidene Lebensweise empfohlen und sogar einmal im Jahr eine Fastenzeit angeordnet, und zwar in der Frühlingszeit, wodurch die innere Auferstehung zu Ostern vorbereitet wurde.
Das haben wir ganz vergessen und werden schon besorgt, wenn wir längere Zeit keinen Hunger haben oder wenn uns „der Appetit vergeht“, anstatt dass wir dankbar sind für solche Winke, die uns ermahnen, einen Wechsel in der Ernährungsweise eintreten zu lassen. Bleibt der Hunger aus, dann ist der Körper nicht bereit, neue Nahrungsmengen zu verarbeiten, weil er schon zu viel davon bekommen hat, sodass seine Organe überlastet und in ihrer Tätigkeit beeinträchtigt sind.
Dann muss man sich der Nahrung enthalten oder fasten und zugleich den Körper in geeigneter Weise behandeln. Baden, Bürsten, Kneten, Nadeln und regelmäßige Übungen alle 3 bis 6 Stunden werden den Blutumlauf verbessern, die Körperwärme regeln, die Organe anregen und das Allgemeinbefinden heben. Auch wenn sich dann ein Hungergefühl einstellt, sollten wir ihm nicht sogleich nachgeben, sondern uns in der Selbstbeherrschung üben, damit wir nie wieder ein Opfer der Essbegierde werden. Befällt sie uns aber doch gleich einem Fieber, dann müssen wir die Lungen entspannt und gelassen vollständig entleeren, indem wir Sprüche oder Gebete in einer Ausatmung sprechen, während wir die Brust gehoben halten, sie also nicht fallen oder einsinken lassen trotz des Ausatmens.
Meldet sich nach 3–5 Tagen bedachtsam durchgeführten Fastens wirklicher Hunger, also ein nicht länger abzuweisendes Bedürfnis, so befriedigt ein Glas Wasser mit einigen Tropfen Zitronen-, Trauben-, Ananas- oder Himbeersaft mehr als ein Glas Champagner. Und eine dünne Scheibe Toast, auf der eine Zehe Knoblauch verrieben und auf die eine Prise Cayennepfeffer und etwas fein geschnittene Petersilie gegeben worden ist, und eine Tasse heiße Milch dünken uns eine himmlische Mahlzeit. Sollten wir nach mehr Verlangen haben, so bescheiden wir uns mit den schon erwähnten langen Ausatmungen, um uns in der Selbstbeherrschung immer sicherer zu werden und nicht mehr der Appetitskrankheit zu verfallen.
Von nun an halten wir uns aus eigener Überzeugung an eine einfache Ernährungsweise und achten dabei auf die zweckmäßigste Zubereitung und die natürliche Zusammenstellung. Wenn wir die einfachen, wissenschaftlichen und erprobten Grundregeln beachten, ist die Zubereitung der Mahlzeiten nicht nur ein Vergnügen, eine Quelle der Erweiterung unserer Erkenntnis und ein Mittel zur Förderung unserer Gesundheit, sondern erschließt uns allmählich eine neue Art des Lebens, das äußerlich immer schlichter und einfacher und innerlich immer gehaltvoller, reicher, befriedigender und glückseliger wird. Vieles, was wir bisher unbeachtet gelassen hatten, weil uns die Sucht nach Prunk und äußerer Pracht blendete, nehmen wir jetzt erst wahr und lernen es schätzen. Unsere Begierde nach Genüssen aller Art bringt uns in Verwicklungen mit unserer Umgebung und wir müssen darum förmlich kämpfen. Aber auch, wenn wir dabei scheinbar gewinnen, hört der Kampf nicht auf, sondern geht beständig weiter, weil ein erzielter Genuss den Anreiz zu einem weiteren Genuss auslöst, also die Unzufriedenheit verewigt.
Nur ein einfaches Leben, das unsere natürlichen Bedürfnisse befriedigt, wird auf die Dauer ein glückliches Leben sein. Selbst wenn wir also mit großem Aufwand leben könnten, ist es besser, dass wir uns freiwillig Beschränkungen auferlegen, weil wir uns dabei nicht nur selbst verbessern, sondern zugleich für die ganze Menschheit von größerem Nutzen sind. Denn dadurch, dass wir ein sichtbares Beispiel geben, wecken wir in anderen den Mut zur Nachahmung und das Interesse für eine einfache und wissenschaftliche Lebensweise. Die Welt braucht Zeugen und Vorbilder, die die Möglichkeit eines einfachen Lebens beweisen.
Ein Sklave des Appetits zu sein, ist für den Menschen eine ebenso verhängnisvolle Erniedrigung wie ein Sklave des Tabaks oder des Alkohols zu sein. Ein Sklave ist ein Sklave. Sicherlich muss die Ernährung richtig und genügend sein, wofür aber der ökonomisch-wissenschaftliche Standpunkt maßgebend ist. Dann lautet die Frage nicht mehr: „Wie viel, sondern wie wenig ist an Nahrungsmitteln nötig, um den Körper gesund und bei Kräften und die Intelligenzen rege zu halten?“
Der Mensch ist kein Muskelwesen mehr, sondern zu einem Nervenwesen geworden, das von seinen schöpferischen Kräften bewusst Gebrauch zu machen hat, entsprechend seiner natürlichen Veranlagung, bei der sich drei Hauptgruppen unterscheiden lassen – nämlich die materielle, die spirituelle und die intellektuelle Grundveranlagung, die eine schwerere, mittlere bzw. leichtere Kost benötigen, die nach einfachen Grundregeln hergestellt und zusammengestellt wird, wie es in der Mazdaznan-Ernährungskunde dargestellt wird.
Ist man sich einmal der Grundregeln und systematischen Ordnung bewusst geworden, dann braucht man für ihre Einhaltung keine besondere Mühe und Zeit mehr aufzuwenden und nicht mehr viel darüber nachzudenken, was, wann und wie viel man essen und trinken soll; man geht einfach mit der Jahreszeit. Im Frühling bevorzugen wir Belebendes und Ausscheidendes; wenn wir zu unseren Salaten Reis, Gerste oder Mais genießen, so genügt das. Mit dem Vorrücken der Jahreszeit werden die Salate knapper und die Natur und der Markt bieten uns anderes an, soweit wir Schritt halten. So gewöhnen wir uns immer mehr an ein einfaches Leben, wundern uns immer mehr darüber, mit wie viel Unnötigem wir uns früher belastet haben, und erfreuen uns nun größeren Wohlbefindens und körperlich und geistig größerer Leistungsfähigkeit.
Von Dr. O. Z. Hanish.
Auszüge aus Offenbarungen 1934.
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