Einer der wichtigsten, vielleicht sogar der wichtigste Prozess, der Leben auf dieser Erde erst ermöglicht, ist den meisten noch völlig unbekannt: Autophagie (Synonym: Autophagozytose). Der Begriff Autophagie wurde aus dem Griechischen abgeleitet und bedeutet so viel wie „sich selbst fressen“. Erst in den letzten Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft mit diesem Phänomen und erkennt nach und nach die große Bedeutung dieses „Selbstkannibalismus“ unseres Körpers beziehungsweise unserer Körperzellen.
Autophagie – Müllabfuhr und Recycling der Zellen
In den Zellen können zelleigene Bausteine abgebaut, zerlegt und als Energielieferant wiederverwertet werden. Bei Energieknappheit, z. B. in Hungerperioden oder bei Nährstoffmangel, bezieht sich dies auf Bestandteile der Zelle, die nicht überlebensnotwendig sind, die also wegrationalisiert werden können, weil sie für das Überleben der Zelle nicht primär wichtig sind. Aber auch außerhalb solcher Notzeiten dient der Vorgang zur Reinigung, zum Schutz und zur Erneuerung der Zellen, indem schädigende Zellbestandteile, z. B. Bakterien und Viren, unschädlich gemacht werden. Doch nicht nur das – der „Müll“ wird nun gleich dazu benutzt, um Energie zu erhalten und um die Zelle wieder aufzubauen und zu reparieren, also das Leben der Zelle sicherzustellen und zu fördern.
Als einfaches Bild können wir uns vielleicht ein Haus (Körper) mit mehreren Zimmern (Zellen) vorstellen, in dem Menschen wohnen und arbeiten. Die Menschen verursachen durch ihre Existenz und ihre Lebensbedürfnisse Abfall und Müll. Fühlt sich niemand zuständig oder in der Lage, den Müll nach draußen zu schaffen, verdreckt das Haus nach und nach immer mehr. Wie bei einem „Messie“ quellen die Abfälle aus den Mülleimern und verteilen sich auf dem Boden, es beginnt zu stinken und Ungeziefer macht sich breit. Höchste Zeit für die Putzkolonne, die die Fenster aufreißt, von Grund auf großreine macht, neu tapeziert, neuen Teppichboden verlegt, die Abflüsse reinigt etc. Doch warum sollte man es erst so weit kommen lassen? Besser ist es, den Müll täglich zu entsorgen, kaputte Sachen gleich zu reparieren und immer für genügend Luft und Licht zu sorgen.
Genauso geht es unseren Zellen und daher gibt es tägliche Reinigungs- und Revisionszeiten, in denen die Zellen diese Arbeit ausführen können. Diese Prozesse laufen zwar automatisch ab, können von uns aber aktiv gefördert oder behindert werden! Wichtig: ohne Reinigungs- bzw. Abbauprozess gibt es keinen Aufbau- bzw. Regenerationsprozess!
Ernährung
Dieser Zusammenhang von Abbau und Aufbau begegnet uns an vielen Stellen im Körper. Beispielsweise bei der Ernährung. Wir erhalten ja keine Energie von dem, was wir uns in den Mund stecken, sondern davon, was von den Elementarstoffen, die in der Nahrung enthalten sind, in unserem Körper ankommt und in körpereigene Stoffe umgewandelt wird. Dazu bedarf es zuerst eines komplexen und mehrstufigen Abbauprozesses: Zuerst wird das Nahrungsmittel durch das Kauen mechanisch zerkleinert, um dann durch Enzymbeigaben, Magensäure, Gallensäfte etc. chemisch in seine Einzelbestandteile zerlegt zu werden, bevor eine Aufnahme ins Blut über die Darmzotten möglich ist. Danach folgt noch der biologische Abbauprozess durch die Mikroorganismen der Darmflora. Erst dann kann der Körper die gewonnenen Nährstoffe zu körpereigenen biochemischen Stoffen umwandeln.
Muskeln
Auch in den Muskeln findet ein ähnlicher Prozess statt, den Sportler sich zu Nutzen machen, wenn sie sich mehr oder stärkere Muskeln antrainieren wollen. Bei Belastung des Muskels werden die Muskelzellen unter Stress gesetzt und winzig kleine Mikroverletzungen erzeugt, die sich dann auch als Muskelkater bemerkbar machen können. In der Zeit nach dem Training werden nun die beschädigten Muskelteile abgebaut und durch stärkere ersetzt, sodass der Muskel bei einer neuerlichen Belastung besser auf die Arbeit vorbereitet ist. Voraussetzung für diesen Prozess ist allerdings eine Ruhe- und Regenerationsphase und die richtigen Nährstoffe. Somit sind für den Sportler, neben dem systematischen Training, auch die Ernährung, die Trainingspausen und der Schlaf für seinen Erfolg entscheidend! Analog dazu gilt das Gleiche übrigens auch für „Gehirnjogger“, sprich alle, die Interesse an einem gut funktionierenden Gehirn haben. Training, Erholung, Schlaf und gesunde Ernährung halten das Gehirn jung und vital!
Zurück zu unseren Zellen und wie wir den Autophagieprozess dort beeinflussen können. Wir ahnen schon, dass es ähnliche Voraussetzungen im Zellkosmos wie in den anderen Bereichen geben muss.
Disharmonie ist die Ursache aller Krankheit
Abbauende und aufbauende Prozesse müssen im Gleichgewicht stehen, sonst können die Prozesse der Zellreinigung und -regeneration nicht optimal funktionieren. Die Folge ist eine Störung der Zellfunktionen mit anschließender Störung der Körperfunktionen oder sogar Krankheit.
Mangel
Setzen wir den Körper über einen sehr langen Zeitraum einem starken Kaloriendefizit aus, wie es z. B. bei Fehlernährung, Diäten oder langem Fasten der Fall sein kann, steht ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr genügend Energie für die Zellfunktionen bereit, worauf diese eingeschränkt werden. Die Zelle geht in den „Schlummermodus“, um weniger Energie zu verbrauchen und um dann, wenn wieder genügend Energie zugeführt wird, wieder aktiv zu werden. Dauert die Unterversorgung zu lange an, kann die Zelle „verhungern“ oder sogar absterben. Es werden also nicht nur die Fettdepots
abgebaut, sondern auch Muskulatur – und dazu gehört auch der Herzmuskel. Daher lässt man bei einer Diät oder Fastenkur immer die Vernunft walten, statt ins Extrem zu verfallen. Macht man eine Diät, um Gewicht zu reduzieren, d. h. um Fett abzubauen, ist es sinnvoller, dies durch eine grundsätzliche Ernährungsumstellung als durch extreme Diäten oder „Hungern“ zu erreichen.
Überfluss
Zu viel ist zu viel! Wer zu viel oder zu oft isst, versetzt den Körper in einen Kalorienüberschuss, das heißt in einen aufbauenden (anabolen) Zustand. Der Körper reagiert darauf mit einer erhöhten Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse, um die Nährstoffe als körpereigene Energiereserven zu speichern. Dem Körper wird also signalisiert,
dass immer ausreichend Energie da ist und er keine eigenen Energiereserven aufbrauchen muss. Der abbauende Prozess
in der Zelle kommt zu kurz und die Zellreinigung wird gehemmt. Insbesondere die Zufuhr von Kohlenhydraten (Brot, Brötchen, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Süßigkeiten etc.) sorgt für einen hohen Insulinspiegel und dieser hemmt die Zellreinigung und Zellregeneration. Die beschädigten Zellbestandteile werden also nicht oder nur unvollständig abgebaut, wodurch die Zelle funktionsunfähig wird oder sogar entartet.
Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass diese gestörte Autophagie Krankheiten wie Krebs, Muskeldystrophie (Muskelschwund) Arteriosklerose und neurodegenerative Krankheiten (Parkinson, Alzheimer etc.) hervorrufen kann.
Zu häufiges Essen macht krank
Wie oben erwähnt, gibt es also einen Zusammenhang zwischen der Hemmung der Zellregeneration und dem Insulinspiegel. Essen wir also viele Mahlzeiten über den ganzen Tag verteilt, kann es also nicht zur Zellreinigung kommen. Die Empfehlung vieler Ernährungsberater, viele (5–6) kleinere Mahlzeiten am Tag einzunehmen, sorgt also dafür, dass ständig Insulin produziert wird und der Insulinspiegel, auf zwar niedrigerem Niveau als bei einer großen Mahlzeit, aber doch ständig erhöht ist. Beginnen wir schon morgens in der Frühe zu essen, wird die Zellreinigung und -regeneration
unterbrochen und der Körper schaltet wieder auf „Aufbau“ um. Solange wir immer wieder, in kürzeren Abständen Nahrung zuführen, ändert sich daran also bis zum Abend nach dem letzten Essen bzw. Naschen nichts mehr. Der Müll bleibt in den Zellen und die Zellenergie nimmt ab, obwohl wir immer mehr Energie in Form von Kalorien zuführen. Übermäßiges und häufiges Essen verringert also die Energie, statt sie zu vermehren!
Selbstheilung statt Medikamente
Es gibt mehrere Faktoren, die die Autophagie und damit die Selbstheilung der Zellen fördern:
1. Kaloriendefizit
2. Periodisches Fasten
3. Körperliche Anstrengung
1. Kaloriendefizit
Es wurde festgestellt, dass ein chronisches Kaloriendefizit zu besserer Gesundheit und sogar längerem Leben führt. Affen, denen man gezielt seltener und spärlicher Futter gegeben hat, waren gesünder und lebten signifikant länger als ihre Artgenossen, die ständig Zugang zu Futter hatten.
Dr. Hanish empfahl den Menschen, „beim Essen immer eine kleine Ecke im Magen frei zu lassen“ und nie überfüllt, sondern vom Tisch aufzustehen, solange der Hunger noch nicht vollständig gestillt war. Gleichzeitig ist aber wichtig, dass bei dieser Form der Ernährung hochwertige und individuell passende Nahrungsmittel zu sich genommen werden, um nicht in einen chronischen Nährstoffmangel zu geraten und dadurch dem Körper langfristig zu schaden! Der Körper muss z. B. durch Reinigungsmaßnahmen von Übersäuerung, Parasiten und Schadstoffen weitgehend gereinigt sein und der Atem bewusst geführt werden, um eine optimale Nährstoffversorgung zu gewährleisten.
2. Periodisches Fasten
Dem Prozess der Autophagie muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, indem die Zeiten, in denen Nahrung zugeführt
wird, begrenzt werden. Dazu gibt es verschiedene Modelle, die aber alle von der grundlegenden Erkenntnis ausgehen, dass der Verdauungsvorgang erst 8–12 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme abgeschlossen ist und dann ein Fastenzustand beginnt. Dieser Fastenzustand sollte nicht weniger als 4 Stunden dauern, damit die Autophagie wirken kann.
Praktisch könnte dies bedeuten, dass nach Abschluss des Abendessens um 18 Uhr die nächste Nahrungsaufnahme erst nach 16 Stunden, also ab 10 Uhr am Folgetag stattfinden sollte. Von diesen 16 Stunden gehören dann also 8–12 Stunden der Verdauung und 4–8 Stunden dem Fasten, sprich der Autophagie. In der Konsequenz bedeutet das also für einen Erwachsenen, dass zwei Mahlzeiten zwischen 10 und 18 Uhr eingenommen vollständig genügen, um ausreichend Nährstoffe aufzunehmen und gleichzeitig Zeit für die Zellreinigung und -regeneration zu haben. Da freut man sich dann umso mehr auf das „Fastenbrechen“ (englisch: breakfast) bzw. das „kleine Abfasten“ (französisch: petit dejeuner) am späten Vormittag.
Wichtig: Das gilt nicht für Kinder, die selbstverständlich häufiger essen dürfen bzw. sollten, da sie sich noch im Zellaufbau
befinden und in der Regel noch keinen Müll in den Zellen angehäuft haben. Eine andere Variante des periodischen Fastens ist das Tagesfasten. An einem oder mehreren Tagen der Woche fällt das Essen einfach aus und der Körper kann sich regenerieren – und Zeit gewinnt man dadurch ebenfalls. Da wir alle unterschiedlich sind, ist auch die Art des periodischen Fastens, die für jeden von uns individuell passend sein sollte, unterschiedlich. Man bleibt dabei, wie auch sonst im Leben, immer vernünftig und achtet darauf, dass man nicht in Extreme verfällt oder gar meint, die Mitmenschen missionieren zu müssen.
3. Körperliche Anstrengung
Wie oben erläutert, verstärkt sich der Prozess der Zellregeneration bei Muskelbelastung. Wenn wir also körperlich arbeiten oder Sport treiben (= physischer Stress), verbessert sich sowohl die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung der Muskulatur als auch die Fähigkeit zur Zellreinigung und -regeneration. Regelmäßige Belastung führt also letztendlich zur Entlastung. Vorausgesetzt wir „trainieren“ auch die Regenerationsphasen, in denen körperliche und physische Entspannung, tiefer Atem und ausreichend Schlaf ihren festen Platz haben.
Von Jens Trautwein.
Quellen: Christopher Stosno, www.intermittent-fasting-diet.de/2013/04/21/mehrautophagie-durch-periodisches-fasten/
Dr. Jörn Dengjel, Uni Freiburg, www.bio-pro.de/magazin/wissenschaft/index.html?lang=de&artikelid=/artikel/09272/index.html
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